Ich fahre mit der Monkey Erdbeereis holen
Es war
einer dieser letzten wenigen heißen Tage. Endlich ein Tag, der ohne
diesen waberigen Nebel begann. Dafür dörrte einem die Sonne schon
morgens das Hirn aus.
Ich saß
in einem Landgasthof am Chiemsee. Ich war hier her in die Anonymität
geflüchtet. Mitten in das Bayern, wo es selbst am besten ist. Ein
Weißbier zum Frühstück verhalf mir wieder zu einem kühlen Kopf.
Trotzdem
fasste ich keine genauen Pläne für den Tag. Ich wollte nur eines:
Mich nachher aufs Bike schwingen und cruisen. Ich hatte von so einem
See gehört, er solle hinter einem Hügel liegen, und zwar
„beschaulich“, wie meine Wirtin sagte, bei Unterwössen, der
Unterwössener See sollte das sein.
Mein
Motorrad stand in einer Scheune, es sollte mich dorthin bringen, und
es würde es gut machen, das wußte ich. Schließlich war das nicht
die erste Honda Monkey in meinem Leben. Die letzte hatte über 30
Tausend Kilometer drauf. Aber diese war nagelneu, Baujahr 2005. Ihr
4,5 Liter –Tank, mit dem Sprit schaffte ich bis zu 300 Kilometer,
glänzte in der brennenden Morgensonne. Der Gepäckträger erinnerte
mich, wie jedes mal, an die Frau, die ich wirklich geliebt hatte;
viele Jahre war das her gewesen. Sie saß damals auf dem stabilen
Gestänge, vielleicht nur 50 Zentimeter über dem Boden. Sie umarmte
mich von hinten, rieb ihre Brüste an meinen Schultern und schlang
ihre langen Beine um meine Hüften bis fast vor zum Lenkkopf. Ihre
fleischfarbenen Badesandalen zerkratzten den Tank ein bisschen. Das
habe ich ihr nie vorgeworfen und ich habe den Kratzer nie
ausgebessert. Was soll’s, dachte ich und schob die Erinnerung
beiseite und tief gebückt mein Bike raus auf die Wiese, die, wie ich
zugeben muss, saftig war.
Ich sah
die kleine so an und war froh, eine neue zu haben. Sie war
unbelastet, sie war so rein. Genau das, was ich brauchte. Ich faßte
an ihren Benzinhahn, drehte ihn nach rechts auf und spürte wie das
Benzin in den kleinen 12 Millimeter Vergaser kroch, und bereit war,
sich in die Luft zu sprengen. Mit dem rechten Fuß trat ich sie an,
der Flipflop bog sich durch, aber der Kraftaufwand war überschaubar,
trotzdem, nicht zu unterschätzen! Ich wollte schwimmen gehen,
endlich mal das Gift aus meinen Körper jagen, die Mühen und
Demütigungen der letzten Jahre heraus prügeln – mit Sport. Meine
blauen Flossen, die ich aus dem Dorfladen hatte (offiziell mit der
Absicht gekauft, sie einem Neffen mit zu bringen, obwohl ich gar
keinen habe), befestigte ich auf dem Gepäckträger.
Der drei
PS Motor dreht auf, sofort war er voll da, drückte satte drei
Newtonmeter ans Hinterrad. Geschmeidig und mit der Routine eines
Tierpfleger, der seit 20 Jahren Elefantenmist schaufelt, legte ich
den ersten Gang ein und lies die Kupplung kommen. Die acht Zollräder
walkten souverän über die Wiese, die kleine Böschung hinauf und
auf die Straße. Zum Schalten braucht die Einscheiben-Ölbad-Kupplung
kaum Kraft, federleicht lässt sie sich bedienen. Aber bei meiner
alten war das auch schon so, schließlich ändert Honda seit vielen
Jahren bei neuen Modellen nur noch die Optik, nicht mehr die Technik.
Ich war im vierten Gang, brauste über die Straße am Kircherl
vorbei. Beim Metzger holte ich mir noch eine warmes Wammerl und eine
Leberkäsesemmel mit Weißwurst-Senf.
So
beladen hatte die Monkey fast Probleme den steilen Berg im vierten
hinaufzutöffen, aber da dacht´ ich mir, ach, schalte halt einen
Gang runter. Es wurden dann zwei - irgendwie eine Metapher für mein
derzeitiges Leben. Über den Hügel drüber sah ich den See, wie
beschaulich er da unten im Tal lag. Ich brauste hinab, die
Trommelbremsen verzögerten exzellent, kurz vor dem Eingang zum
Strandbad machte ich sogar einen Powerslide, einfach so, zum Spaß.
Ein Mädchen, das gerade mit Strandmatte und einem Rucksack von ihrem
Fahrrad weglief, drehte sich verschämt nach mir um, aber weil sie
nicht wusste, wohin sie das ratzende Geräusch stecken sollte,
schaute sie wieder weg. Der Motor ist im Standgas nicht zu hören.
Der 50er-Viertakter mit der obenliegenden Nockenwelle ist ganz arg
leise, man hört kaum, daß er läuft.
Am
Eingang des Strandbades kam ich nicht am Kiosk vorbei, ohne noch ein
Weißbier zu trinken. Schließlich war ich in Bayern, der letzten
Bastion alkoholischen Frohsinns. Ich lehnte lässig an der warmen
Wand des kleinen Gebäudes, meine Monkey mit ihren 60 Kilos auf ihrem
kleinen Seitenständer. Der Leberkäse war saftig.
Vorne am
Seeufer war fast nichts los. Kaum Menschen, kein Wind. Ich wollte
direkt am Ufer liegen. Ich setzte mich wieder auf mein Motorrad. Weil
das Antreten des Motors mit dem Badelatschen unangenehm war, warf ich
ihn mit der rechten Hand an. Kolben auf OT gefriemelt und kräftig
durchgestoßen. Er kam sofort. Ich fuhr vor, an der großen
Wasserrutsche vorbei, an der Bank für Rentner, an der hölzerner
Liegeplattform auf der sich ein Mann in klassischer Badehose räkelte.
Ich hielt kurz vor dem frisch geharkten weißen Kies am Wasser.
„Hey“, hörte ich es neben mir sagen. Hatte ich jemand gestört?
Werde ich nun, verdammt noch mal, wieder als Rocker beschimpft und
vielleicht sogar vom Platz gejagt? „Die sieht ja stark aus!“,
schnurrte eine leise, aber selbstbewusste Stimme links neben mir.
Eine süße Maus lag auf einem rosa Handtuch. Es war sie, die Kleine
vom Parkplatz. „Cooles Bike“, sage sie. Ohne zu zögern nahm sie
meine Flossen von Gepäckträger und setzte sich drauf. Ihr machte es
nichts aus, dass sich die Streben des Trägers in das zarte, aber
feste Fleisch ihrer Backen wühlten. Sie schlang die Beine um mich
und ich sollte losfahren. Und wir fuhren. Wie im Rausch, unbedarft,
aufgefrischt. Es ging über die ganze Wiese, hoch zum
Babyplanschbecken, rüber zum Kiosk und zurück ans Ufer. Unterwegs
haben wir uns ein Eis geholt. Und so saßen wir dann da und
schleckten. Ich probierte von ihrem Erdbeereis. Die Monkey stand
neben uns. An diesem Tag schimmerte sie noch lange lieblich im
Wasser.